Als Bowie es endlich zurück in die Sicherheit seines Hauses schafft, sitzen seine Freunde bereits wieder angezogen an der Hausbar. Nur die aufgetakelten Klamotten mit denen sie zusammen noch vor drei Stunden ausgelassen das Orchid A Go Go unsicher gemacht hatten – tja, die passen jetzt so gar nicht mehr zur aktuellen Situation.

Wie schnell die Stimmung doch umschlagen kann.

„Hey, da bin ich wieder,“ sagt Bowie leise.

Seine beiden Freunde drehen sich prompt um. Morgyn steht die Sorge ins Gesicht geschrieben. Harleys Augenbraue versucht in ihren Haaransatz zu klettern, als die blonde Schauspielerin das Baby auf Bowies Arm sieht.

„Deins?“ fragt sie.

„Yup!“

„Aber wie?!“

„One Night Stand, letztes Jahr. Mutter ist gerade davon gelaufen.“

Für einen kurzen Moment herrscht Stille. Aber nicht weil die beiden so überrascht sind, nein. Bowie sieht, wie sie verschiedene Varianten von “das war ja nur ne Frage der Zeit…“ und „Irgendwie erwischst du immer die Seltsamsten!“ denken und ungesagt runterschlucken. Er halt hat die besten Freunde der Welt. Sie würden sogar Babysitten, wenn er nur lieb genug bittet.

Und es ist es natürlich Morgyn, der gleich die pikanten Details der Situation anspricht:

„Bowie, hattest du nicht eine Vasektomie?“

„Ja. Vor etwa drei Monaten. Versuchs mal mit Mathe.“

„Huh,“ der Weise grinst, „Kam wohl etwas spät, die Operation.“

Harley verbeisst sich das Lachen; denn Morgyn hat sich gerade quasi freiwillig zum Windelwechseln gemeldet hat. Bowie steht nämlich der Schalk ins Gesicht geschrieben.

„Spätzchen, Morgyn, Meister der siebzehn Sphären…“, säuselt der schlacksige Schauspieler, „Ein Wort der Warnung: Ich habe gerade meine Mutter angerufen.“

„Urgs. Dann sollte ich ich mich besser verziehen, bevor die auch wirklich noch spontan eine Möglichkeit zum Langstrecken-Transportalate entwickelt,“ sagt Morgyn…

…in genau dem Moment als hinter ihm die Haustür aufknallt und perfekt geschusterte Blockabsätze über das Parkett klappern.

„Du unterschätzt mal wieder meine Möglichkeiten, ‚Weiser‘,“ hallt eine tiefe, befehlsgewohnte Frauenstimme aus Richtung Haustür. Aria Legate, „reformierte“ Superschurkin, Top-Ausbilderin des S.I.M.S (es ist billiger sie zu bezahlen als sie zu bekämpfen) und Bowies Mutter, stolziert energischen Schrittes ins Wohnzimmer.

„Och nöööö…“ moppert der Blonde.

„Kam wohl etwas spät, die Warnung,“ feixt Bowie.

Aria schiebt energisch ihren Koffer in die Ecke und mustert die Anwesenden. Ihre roten Augen verengen sich, als ihr Blick auf Morgyn fällt.

„Okay“, sagt sie nach nur einem kurzen Moment, „Ich kann verstehen, dass Harley auch nachts um drei aufgetakelt wie ein Dreimastschoner rumläuft: Sie könnte zwar einen Mann auf offener Straße abstechen und die Presse würde sich darüber beschweren, dass er ihrem blonden Engel ins Messer gelaufen ist – aber wehe, wehe sie würde ohne Make-up erwischt werden. Doch du, Morgyn? Bauchfrei?

„Neidisch auf meine PR Firma?“, unterbricht Harley betont unschuldig und es hat absolut nichts damit zu tun, dass die junge Schauspielerin Aria vom Weisen ablenken will.

Aria lacht.

„Aber natürlich. Was meinst du was ich an Anwaltskosten sparen würde? Aber das ist nichts im Vergleich zu dem kleinem Wunder, dass unsere chronische Frostbeule es schafft, hier bauchfrei rumzulaufen. Ihm war sogar in Sulani zu kalt!“

Morgyn seufzt.

„Ich trage einen verzauberten Wollpullover, falls du es wirklich wissen willst. Make-up, Outfit, Frisur – alles Teil einer taktilen Illusion die permanent in dem Pullover verwebt ist. Kannst du die Zauberstruktur nicht selber sehen?“

Aria grinst nur.

„Hast du schonmal dran gedacht, mehrere Illusionen auf einen Gegenstand zu legen und deren Auftreten mittels einer Passphrasen zu kontrollieren?“

Morgyn schüttelt den Kopf.

„Die Stabilität der Spruchmatrix bei derart komplizierten Verzauberungen…“

„… Sollte nicht wirklich das Problem für einen derart ehrgeizigen Magier wie dich sein. Du bist einer der besten dieser Generation, Morgyn. Du könntest einen Pullover bauen, der jedes Mal die Illusion wechselt wenn Simeon Silversweater mal wieder etwas von der ‚Würde der Magie‘ faselt – und dann steif und fest behaupten, dass er nicht weiß was er sieht. Ich wette, Faba würde mitmachen. Sowie jeder andere Magier, der das Pech hatte sich eine von Simeons Predigten anhören zu müssen.“

Der Weise der ungezähmten Magie wird still und kaut auf seinem Fingernagel, als er anfängt neue Spruchmatrizen durchzuplanen.

„Alternativer Vorschlag:“, unterbricht Aria ihn ungerührt, „Lagere ein paar Klamotten bei meinen Sohn ein. Du bist wirklich häufig genug hier.“

„So schön Fachsimpeln auch ist, eigentlich habe ich dich wegen ihr hier angerufen.“

Bowie hebt seine Tochter in Arias Sichtfeld. Morgyn ist sofort vergessen und die Schurkin wendet sich neugierig ihrer Überraschungsenkelin zu.

Hinter ihrem Rücken stupst Harley Morgyn an und flüstert:

„Silversweater… War das nicht der Typ hat mich ein übermäßig angemaltes Fischflittchen genannt hat?“

„Ja, genau der,“ Morgyn schaudert als er an die Begegnung denkt, „Es tut mir immer noch leid. Ich dachte… Nun. Die Weisen werden nach Begabung ausgesucht, nicht nach Persönlichkeit. Ansonsten wäre ich wohl nie einer geworden.“

„Hör zu: Lass Silversweater mal so richtig an seinen verstaubten Verstand zweifeln und ich überrede Dunkelstolzen dir mindestens fünfzehn Minuten lang zuzuhören. Und zwar ohne dich hinterher zu ersäufen.“

Erstaunt flüstert Morgyn zurück:

„Sagtest du nicht, du willst dich nicht in die Angelegenheiten von uns Funkenschmeißern einmischen?“

Harley schnaubt.

„Da hatte mich dieser ‚Weise’ noch nicht bis auf die Schuppen beleidigt.“

Bowie grinst. Falls seine Mutter hört, wie ihre Falle zuschnappt (was auch immer sie damit bezwecken will), lässt sie es sich nicht anmerken. Ihre ganze Konzentration gilt dem kleinen Wesen auf dem Arm ihres ältesten Kindes. Er weiß, dass auch sie sofort ihre eigene magische Linie in dem Kind erkannt hat – aber auch, dass es ihr letztendlich total egal ist. Magischer Status (oder der Mangel daran) hat die Freude seiner Mutter noch nie beeinflusst; Enkel sind ihr immer willkommen. Und sie weigert sich standhaft, jemanden aus ihrem Clan zu bevorzugen oder zu vernachlässigen. Auch wenn ein oder zwei ihrer Nachkommen gerne weitaus weniger von ihr sehen würden.

„Wie heißt die Kleine?“ fragt Aria schließlich ganz verzückt.

„Ich dachte an Clio,“ sagt Bowie, „Genau wie die Muse der Geschichte und des Heldengesangs, kurz gesagt: der Bekannt- und Berühmtheit.“

„Das passt zu euch“, Aria nickt zufrieden, „Aber was meinst du, mit ‚Du dachtest‘?“

Bowie muss lachen.

„Weil sie jetzt meins ist und ich weigere mich, ihren alten Namen zu verwenden! Kannst du dir vorstellen, wie ihre Mutter sie nannte?! Anne-Mariechen Mondschein…“

Fffooom!!

„Nein, neinneinNEINNEIN!“ kreischt Bowie, als er panisch Löschschaum auf die Flammen sprüht, „Nicht meine Anlage! Nicht die! Die war ein Geschenk von meinem ältesten Bruder!“

„Bowie,“ sagt Aria kalt während sie gekonnt das neugierige Baby von den Flammen fern hält, „du bist ein Magier.“

„Es geht hier ums Prinzip, Mutter!“, faucht er und schwingt seinen Stab. Die verbrannten Einzelteile der Stereoanlage verschmelzen geschwind wieder zu einem funktionierendem Ganzen.

„Auch beim besten Repario ist es hinterher nie ganz das Alte! Wehe, dass ruiniert mir den Klang!“

Bowie schüttelt sich gerade die letzten Funken freier Magie von den Händen (Diskretion und Zurückhaltung waren noch nie seine Stärke), als Harley und Morgyn vorsichtig ihre Köpfe zurück ins Wohnzimmer stecken. Der Schauspieler will gar nicht wissen, wer hier wen aus dem Haus gezerrt hat. Beide haben gute Gründe Feuer zu fürchten und Bowie mag seine engsten Kumpel viel zu sehr, um dieses Thema ohne guten Grund auch nur anzudeuten.

Währenddessen starrt Aria verzückt auf ihr Enkelkind Nummer 10. Egal wie oft es schon passiert ist… Einen ihrer vielen Nachkommen zum ersten Mal auf ihrem Arm zu halten hat halt immer etwas ganz besonderes.

„Na du?“, grinst sie, „Noch auf Flüssignahrung, aber schon mit ganz fester Meinung, hm?“

Sie knuddelt Clio.

„Glaub mir, damit passt du einfach perfekt in diese Familie.“

Es ist niemals ruhig in Del Sol Valley, selbst hier in den Wohngebieten nicht. Ständig rauschen Flieger tief über die Dächer; Fahrzeuge rasen die nahegelegene Autobahn lang und irgendwo knallt und pocht es. Hunde bellen. Besoffene jaulen. Krach gibts immer, auch nachts um halb drei. Die Anwohner haben gelernt damit zu leben – irgendwann fällt der Fluglärm halt nicht mehr auf. Für den Rest gibts Schallschutzfenster.

Nur Sturmklingeln an der Haustür… Ja, das reißt selbst den dickfelligsten Bewohner von Del Sol Valley aus dem Schlaf.

„Es ist drei Uhr! Wer klingelt Mittwoch nachts kurz vor drei!?“

Bowie B., studierter Schauspieler und professioneller Mädchenschwarm (besser bekannt als Dr. Grant in der Herzschmerz-Serie Residency of the Heart – niemand stirbt so schön wie er) schwingt sich gekonnt in seinen Seidenpyjama und aus dem Bett, noch bevor der zersauste Blondschopf neben ihm so richtig wach ist.

„Jemand der bei unserer kleinen Feier mit machen will?“ nuschelt der Blonde unter der Decke hervor.

Doch Bowie schüttelt nur den Kopf.

„Ich lade doch keinen Vierten ein ohne euch beide vorher zu fragen! Warte hier, ich kümmere mich drum.“

Aber als Bowie zur Tür geht, springt der attraktive Blonde aus dem Bett.

„Bowie, hast du keine Angst vor deinen Fans?“

So berühmt bin ich auch wieder auch nicht, Morgyn.“

„Ich meine deinen Stalker, Wuschelkopp. Was wenn er es ist?“

Der Schauspieler grinst nur:

Inferniate.

„Für so was habe ich dich nicht trainiert, Bowie. Sei vorsichtig, bitte.“

„Oh, ich werde nichts Permanentes machen, versprochen. Aber sag mir ins Gesicht, dass der Typ es nicht verdient hat, mal zehn Minuten in Flammen zu stehen.“

Der Weise der ungezähmten Magie lacht leise und schüttelt dann den Kopf.

„Ich will einfach nicht, dass dir was passiert, du Trottel.“

Besagter Trottel wirft dem Blonden eine Kusshand zu und schreitet schwungvoll zur Tür.

„Süßer, es wäre nicht das erste Mal, dass dieser Idiot schreiend und mit den Armen wedelnd vor meiner Tür stünde. Und die Kamera, die Magie aufzeichnen kann, haben sie noch nicht erfunden.“

Morgyn rollt die Augen und geht seine Klamotten suchen, während sein (sehr, sehr) guter Freund sich wieder auf dem Weg zur Haustür macht geht.

Aber noch bevor Bowie an der Haustür ankommt, kommt eine hübsche Blondine aus seinem Badezimmer.

„Bowie, wer ist das?“ fragt sie mit voller, trainierter Stimme.

„Keine Ahnung, Hübsche. Hüpf wieder in die Wanne. Ich kümmere mich drum.“

„Hm. Schrei, falls es dein ‚Fan‘ ist.“

„Aber Harley!,“ Bowie schlägt mit Schwung die Hand aufs Herz, „Wenn ich schreie, kommt doch jeder Köter der Nachbarschaft angelaufen! Das kann ich den armen Viechern doch nicht antun!“

Die Blondine wirft Bowie einen unamüsierten Blick zu und hebt eine perfekt gezupfte Augenbraue. Der schlagsige Schauspieler zuckt mit den Schultern.

„Die Kamera an der Eingangstür läuft, du Goldfisch. Ab in die Wanne mit dir. Falls ich dich wirklich brauche, solltest bei Kräften sein.“

Sie schaut ihn einen Moment durchdringend an, nickt dann und zieht ohne ein weiteres Wort die Tür zu.

Bowie ist zwar der Meinung, dass seine Freunde (mit Vorzügen) in letzter Zeit etwas übervorsichtig sind, aber ganz Unrecht haben sie nicht. (Wenigstens weiß seine Mutter nichts von der Stalker-Situation. Ein mysteriöser Mord in seinem Umfeld würde so gar nicht in seinen PR Plan passen.) Deswegen checkt er die Kamera bevor er die Haustür wirklich aufmacht. Draußen steht eine Frau – Sie kommt ihm bekannt vor, obwohl er ihren hübschen Gesicht gerade keinen Namen zu ordnen kann. Aber sie ist blond und athletisch und somit genau sein Typ.

Und sie hat einen Säugling auf dem Arm.

Mist.

So beweist er, dass er trotz aller gegenteiliger Behauptungen in der Klatschpresse nicht nur ein Schönling ist, sondern auch ein begnadeter Schauspieler: Er geht locker und gelassen vor die Tür und lächelt die nicht-ganz-unbekannte Dame mit seinem besten Lausbuben-charme an – obwohl er sich innerlich seinen Kopf zermartert um sich an ihren Namen zu erinnern. Oder woher er sie kennt.

Ah, ja…

Diese Produzentenparty von vor etwas mehr als einem Jahr. Sie war im Catering Team. Und dann haben sie sich halt etwas Privates aufgetischt. Alles in allem ein war es ein gut gelungender Abend. Zumindest seiner Meinung nach.

„Kelani, nicht wahr?“ Bowie ist jetzt ganz der Frauenschwarm, „Und ich hatte gedacht, du hättest meine Telefonnummer verlegt.“

„Hatte ich auch. Herzlichen Glückwunsch zu deiner großen Premiere. Es war ein ziemlicher Aufwand dich zu finden. Du wechselst deine Adresse wie andere die Unterwäsche.“

Der junge Schauspieler nickt freundlich. Kelani wäre nicht die erste, die sich jetzt nach seiner ersten großen Filmrolle spontan an ihn erinnert. Es bringt nichts, sich darüber aufzuregen. Sie wird ihm schon sagen, was sie von ihm will.

Stattdessen reicht ihm einfach das Kind.

Bowie wird bleich. Es sind nicht die großen blauen Augen, die ihm verraten, dass es seine Tochter ist. Und auch nicht das wohlig-heimische Gefühl seiner eigenen Magischen Blutlinie in ihr. Nein. Es sind die Ohren. Die kann Bowie wirklich nicht verleugnen.

„Oh.“

„Genau,“ antwortet Kelani, „‚Oh‘.“

Die Stille zieht sich einen Moment hin, dann räuspert sich der nicht mehr ganz so junge Mann sich.

„Wenns dir ums Geld geht, zahle ich natürlich,“ sagt er.

Das wäre zwar eine Katastrophe für sein Image als Mädchenschwarm, aber das erreicht eh so langsam das Verfallsdatum. Dann muss er halt etwas früher als geplant zum Charakterdarsteller wechseln. Bowie war schon immer absolut zuverlässig wenn es um seine Pflichten ging – eine der Gründe, weshalb die Produzenten trotz all seiner Macken und Star-Allüren immer wieder gerne mit ihm arbeiten.

Doch die Blondine lacht bitter.

„Wenns nur ums Geld ginge, wäre ich nicht hier!“

„Ich weiß nicht wie, aber die Kleine hat meine Wohnung in Brand gesteckt. Dann das Büro. Das Auto meines Cheffes. Den Wagen seines Mannes. Dann auch noch zwei der Rettungswagen und einen Müllcontainer. Der hätte beinahe einen Wohnblock mitgenommen.“

Sie seufzt.

„Und jetzt werde ich wegen schwerer Brandstiftung gesucht.“

Kelani kitzelt ihre Tochter unter dem Kinn.

„Aber auch egal. Ihr Name ist Anne-Mariechen Mondscheinfee und sie verdient es nicht ins Waisenhaus zu kommen nur weil die ihre Mama in den Knast stecken wollen. Also…“

Bei dem Namen hätt‘ ich auch alles in Brand gesteckt, denkt Bowie sich noch und verpasst beinahe, wie Kelani ihm und ihrer Tochter noch einmal zu winkt und sich prompt umdreht.

„Viel Glück!“ ruft sie…

…Und macht flinke Hufe.

Und da steht Bowie nun, mit seiner seltsam ruhigen Tochter auf dem Arm. Er muss erstmal ein paar Minuten tief durchatmen damit er nicht umfällt. Tja, so schnell kommt man an ein Kind.

Dann dringt ein Gedanke durch den Schock:

Wow. Die Klatschpresse wirds freuen.